Einige von uns haben eine solche Untersuchung schon hinter sich. Was verbirgt sich aber hinter diesem "medizinischen Wortbandwurm"? In welchen Fällen ist eine ERCP angesagt? Was kommt auf den Patienten zu? Wir wollten es genau wissen. Die Redaktion "Lebenslinien" bat Herrn Dr. rer. nat. Rainer Hoffmann, Internist, Gastroenterologe und Biochemiker, Chefarzt der Abteilung Innere Medizin im Hohenloher Krankenhaus in Öhringen, uns Fragen zum Thema zu beantworten.
Dr. Hoffmann: Das Gallengangsystem ist mit einem Baum zu vergleichen. Hierbei entspricht der Baumstamm dem Hauptgallengang, die Baumkrone den sich immer weiter aufzweigenden Gallengängen in der Leber. Die Gallenblase ist über einen Verbindungsgang an den Hauptgallengang angeschlossen. In der Gallenblase wird die in der Leber produzierte Galle gesammelt und nach und nach in den Darm abgegeben. Die Bauchspeicheldrüse mündet meistens zusammen mit dem Gallengang in den Zwölffingerdarm.
Mit dem Verfahren der endoskopisch-retrograden Cholangio-Pankreaticographie können die Gangsysteme beider Organe auf röntgenologischem Wege durch direkte Kontrastmitteldarstellung untersucht werden. Dabei benutzt man ein Endoskop, das Ähnlichkeit mit einem Magenspiegel besitzt, jedoch eine Seitenblickoptik aufweist.
Über dieses Instrument kann ein Kontrastmittel retrograd, also entgegen der Fließrichtung von Galle und Bauchspeichel, in die jeweiligen Gangsysteme eingespritzt werden. Bei der Darstellung des Gallenganges spricht man von der Cholangiographie (gr.: chole; Galle). Wird der Bauchspeicheldrüsengang dargestellt, spricht man von der Pankreaticographie (Pankreas ist die Bauchspeicheldrüse), werden beide Gänge dargestellt, dann von der Cholangio-Pankreaticographie.
Dr. Hoffmann: Die ERCP wird häufig eingesetzt, wenn vermutet werden muss, dass der Galleabstrom behindert ist und unter Umständen auch zu Gelbsucht führt. Dies ist insbesondere der Fall bei Gallensteinen, die sich im Gallengang gebildet haben oder die von der Gallenblase in den Gallengang gewandert sind. Wenn diese Steine insbesondere in der Mündung des Gallenganges einklemmen, kann dies zum vollständigen Versiegen des Gallenabstromes führen.
In dieser Situation kann auch der Bauchspeichel nicht mehr abfließen, sodass hierdurch eine Bauchspeicheldrüsenentzündung entstehen kann. Somit wird diese Untersuchung auch dann empfohlen, wenn bei einer Bauspeicheldrüsenentzündung Gallensteine als Ursache vermutet werden. Ferner können auch gutartige oder bösartige Geschwülste im Bereich des Gallenganges, des Bauchspeicheldrüsenkopfes oder auch der Gangmündung in den Zwölffingerdarm zu einer Abflusshinderung führen, die dann durch die ERCP weiter abgeklärt und z. T. auch in gleicher Sitzung behandelt werden können.
Weitere Anwendungsbereiche stellen die chronischen Entzündungsprozesse in den Gallengängen dar, die häufig durch Übergreifen auf die angrenzenden Leberläppchen zu schweren Störungen der Leberfunktion bis hin zur Entwicklung einer Leberzirrhose führen. Die häufigsten Erkrankungen sind hier die Primär biläre Zirrhose (PBC) und die Primär sklerosierende Cholangitis (PSC).
Dies sind Erkrankungen, die nicht selten in einem fortgeschrittenem Stadium einer Lebertransplantation bedürfen. Nach einer Lebertransplantation ist die ERCP anzuwenden bei unklarem Anstieg bestimmter Leberenzyme, Entwicklung einer Gelbsucht oder wenn durch Ultraschalluntersuchung eine Erweiterung der in der Leber gelegenen Gallenwege nachgewiesen wird, sodass hierbei an eine Abflussbehinderung der Galle, zum Beispiel durch Schrumpfung der Naht des Gallengangs, gedacht werden muss .
Dr. Hoffmann: Die ERCP wird grundsätzlich auf einem Röntgentisch durchgeführt. Meist wird dem Patienten/der Patientin eine Beruhigungsspritze gegeben und der Rachen mittels eines Sprays lokal betäubt. Ähnlich wie bei einer Magenspiegelung wird dann in Linksseitenlage des Patienten das Endoskop eingeführt und mit der Spitze im Zwölffingerdarm plaziert. Darauf dreht sich der Patient in die Bauchlage mit Kopfwendung nach rechts.
Das Gerät verbleibt während der gesamten Untersuchungszeit in ähnlicher Position. Durch den Arbeitskanal des Geräts können verschiedene Instrumente, wie dünne Kontrastmittelkatheter, Schneidekatheter, Körbchen oder Ballonkatheter eingeführt werden. Zunächst wird mit dem dünnen Darstellungskatheter Kontrastmittel über die Papille in Gallengang und Bauchspeicheldrüsengang unter Röntgendurchleuchtung eingespritzt. Handelt es sich lediglich um eine diagnostische Maßnahme, ist mit der Anfertigung von Röntgenbildern und Beobachtung des Abstroms des Kontrastmittels die Untersuchung beendet.
Dr. Hoffmann: Ja, es können zum Beispiel in manchen Fällen mit dieser Methode Gallengangssteine entfernt werden. Hier wird mittels eines Katheters mit seitlichem Schneidedraht durch elektrischen Strom die Mündung des Gallenganges aufgeschnitten. Mit Hilfe von Metallkörbchen, die sich im Gallengang entfalten, können dann Gallensteine entfernt oder bei besonderer Größe auch in Bruchstücke zerlegt werden.
Diese Bruchstücke müssen dann einzeln aus dem Gallengang entfernt werden. Sollten sich als Abflusshindernis z.B. starke Einengungen des Bauchspeicheldrüsen- oder Gallenganges finden, so können diese mittels eines kräftigen Ballonkatheters gedehnt werden. Nachfolgend kann dann durch die Einlage eines Plastikkatheters oder Maschendrahtröhrchens der Abfluss der Galle oder des Bauchspeicheldrüsensaftes gewährleistet werden.
Dr. Hoffmann: Wie bereits erwähnt, wird die Untersuchung üblicherweise mit einer lokalen Betäubung des Mund- und Rachenraumes sowie mit der Gabe eines Beruhigungsmittels und oft auch – prophylaktisch – eines Schmerzmittels durchgeführt. Die Dosis richtet sich nach den Bedürfnissen des Patienten. Damit wird die Untersuchung vom Patienten in der Regel gut toleriert. Die Methode ist in Händen erfahrener Untersucher komplikationsarm, jedoch nicht ganz komplikationsfrei.
Durch die Röntgenkontrastmitteldarstellung kann es zu entzündlichen Reizungen der Gallengänge und der Bauchspeicheldrüse kommen, die allerdings nur in extrem seltenen Fällen zu wirklich schwerwiegenden Komplikationen führen. Es können auch, insbesondere bei größeren Steinen oder bei hochgradigen Einengungen der Gänge durch Aufstau des Kontrastmittels Entzündungen der Gangsysteme entstehen, die dann meist durch Bakterien verursacht sind und einer Antibiotikatherapie bedürfen. Liegen solche Gangeinengungen vor, ist es wichtig und günstig durch entsprechende therapeutische Maßnahmen den Abstrom zu gewährleisten. Dies ist die beste Entzündungsprophylaxe.
Bei operativen Maßnahmen ist verständlicherweise das Komplikationsrisiko erhöht. Insbesondere kann es bei Erweiterung der Mündung des Gallen- und Bauchspeicheldrüsenganges durch elektrischen Schnitt zu einer Blutung oder Lochbildung in der Darmwand kommen.
Herr Dr. Hoffmann, haben Sie vielen Dank für dieses Gespräch.
Das Gespräch führte Jutta Riemer
Lebertransplantierte Deutschland e.V.
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