Die hepatische Enzephalopathie

In der gesamten Bundesrepublik Deutschland leiden ca.1,5 - 2,5 Millionen Menschen an einer chronischen Lebererkrankung, etwa eine Million davon an einer Leberzirrhose. Die hepatische Enzephalopathie(HE) kann sich im Rahmen einer Leberzirrhose (= einer knotig umgebauten Leber) oder im Rahmen des seltener vorkommenden akuten Leberversagens (wie beispielsweise nach einer Pilzvergiftung) entwickeln und geht ursächlich mit einer Funktionsstörung der Leber einher oder entwickelt sich als Folge eines Leberumgehungskreislaufs, bei dem das Blut aus dem Magen-Darm-Trakt an der zirrhotischen Leber vorbei fließt und, ohne die Entgiftungssysteme der Leber passiert zu haben, das Gehirn erreicht.

Als Synonym wird im deutschsprachigen Raum auch der Begriff der portosystemischen Enzephalopathie (= PSE) verwendet, der verdeutlichen soll, dass die Enzephalopathie überwiegend durch den Umgehungskreislauf bedingt ist. Daneben findet der Begriff der hepatoportalen Enzephalopathie Verwendung, der die Leberfunktionsstörung und die Shuntentwicklung gleichzeitig in den Vordergrund der Betrachtung stellt. Der Ausdruck minimale Enzephalopathie beschreibt als weiteres Synonym die klinischen Anfangsstadien der hepatischen Enzephalopathie.

Die Vielfalt der Synonyme kann für den Laien und Betroffenen aber auch für dessen Angehörigen für Verwirrung sorgen, obwohl letztendlich die gleiche Krankheit und die gleichen neurologischen und neuropsychologischen Störungen gemeint sind. Diese Störungen sind prinzipiell rückgängig und sollen im Einzelnen nachfolgend näher beschrieben werden.

Die Vielfalt der Synonyme kann für den Laien und Betroffenen aber auch für dessen Angehörigen für Verwirrung sorgen, obwohl letztendlich die gleiche Krankheit und die gleichen neurologischen und neuropsychologischen Störungen gemeint sind. Diese Störungen sind prinzipiell rückgängig und sollen im Einzelnen nachfolgend näher beschrieben werden.

Klinik/Stadien

Die Symptome einer hepatischen Enzephalopathie reichen von minimalen Beeinträchtigungen des Bewusstseins, der Persönlichkeit oder subtilen Störungen der intellektuellen Fähigkeit bis hin zu schweren Verwirrtheitszuständen und zum Koma.

Bereits im Altertum wiesen griechische Ärzte auf einen Zusammenhang zwischen "geistig-seelischen Beschwerden" und Lebererkrankungen hin. Trotz geringer anatomischer und physiologischer Kenntnisse lassen sich erstaunliche Beobachtungen finden. So beschrieb etwa Hippokrates von Kos (ca. 460 bis 370 v. Chr.) einen "gelblichen" Patienten wie folgt: "Er kann nicht gehalten werden, sagt unverständliche Dinge, ist boshaft und lässt sich nicht beruhigen."

Der klinischen Symptomatik nach wird die HE üblicherweise in 4 Stadien eingeteilt:

Im Stadium I haben die Patienten ein vermehrtes Schlafbedürfnis, das gelegentlich kombiniert ist mit einer Umkehr des Schlaf-Wach-Rhythmusses. Sie wirken häufig geistesabwesend, antriebsarm und "haben zu nichts Lust". Stimmungsschwankungen können sich als Depressionen oder als vermehrte Reizbarkeit niederschlagen.

Im Stadium II fallen die Patienten durch eine deutliche psychomotorische Verlangsamung auf. Auf Ansprache reagieren sie verzögert. Die feinmotorischen Abläufe wie z.B. die Fingerfertigkeit oder das Sprechen sind nun deutlich stärker beeinträchtigt. Auffällig ist in der klinischen Untersuchung ein feinschlägiges Händezittern, das als "flapping tremor" bezeichnet wird.

Im Stadium III liegt eine hochgradige Bewusstseinsstörung vor. Die Patienten sind zeitlich und örtlich desorientiert. Sie können unruhig und agitiert sein, sind aber meist apathisch und schläfrig. Eine deutliche Gangunsicherheit und eine auffallend verwaschene Sprache kennzeichnen die Beeinträchtigung des motorischen und koordinativen Nervensystems.

Im Stadium IV sind die Patienten bewusstlos, reagieren zunächst nicht auf Ansprache und später auch nicht auf Schmerzreize. Willkürliche Bewegungen sind nicht mehr vorhanden. Der Tod folgt im Leberkoma.

1970 wurde zum ersten Mal über die latente (= "im Verborgenen liegende") hepatische Enzephalopathie berichtet. Dieses Stadium der Latenz der hepatischen Enzephalopathie wird definiert als eine zerebrale Funktionsstörung bei Leberzirrhotikern, bei der man trotz des Fehlens von klinisch eindeutigen neurologischen Zeichen in psychometrischen Testverfahren (Abbildung Nr. 2 und 3), wie sie unten näher beschrieben werden, auffällige Testergebnisse findet. Die Patienten berichten über allmählich fortschreitende Aufmerksamkeits- und Konzentrationsschwächen oder Merkschwächen, die über das gewöhnliche und bisher bekannte individuelle Maß hinausgehen. Dazu können sich eine Abnahme der Reaktionsfähigkeit, Antriebsstörungen oder leichte feinmotorische Störungen gesellen, die die Lebensqualität und den Alltag der Patienten merklich beeinflussen können, wobei insbesondere Patienten betroffen sind, die einen handwerklichen Beruf ausüben. Zudem konnte man nachweisen, dass die Fähigkeit, ein Fahrzeug zu führen, in dem Stadium der Latenz schon deutlich beeinträchtigt ist.

Die Grenzen zwischen diesen Stadien sind nicht scharf, sondern eher fließend, was die Eingruppierung des einzelnen Patienten erschwert. Daher sollten das Ausmaß und insbesondere die Frühdiagnose der hepatischen Enzephalopathie nur von einem erfahrenen Neurologen oder Gastroenterologen beurteilt werden, um rechtzeitig therapeutische Maßnahmen in die Wege leiten zu können.

Stadieneinteilung der hepatischen Enzephalopathie
Stadium neuropsychologische Störungen neuromuskuläre-psychometrische Störungen
Latent Konzentrationsschwäche, Aufmerksamkeitsstörungen, Merkschwierigkeiten, abnehmende Reaktionsfähigkeit, Antriebsminderung Allenfalls leichte feinmotorische Störungen
I Klinisch immer erkennbare Minderung der Bewusstseinslage:
Vermehrtes Schlafbedürfnis, deutliche Antriebsstörung, Abnahme der interlektuellen Leistungsfähigkeit
Auffällige Störungen der Feinmotorik, Änderung des Schriftbildes, eventuell Auftreten von einem "feinschlägigen Händezittern" (flapping tremor), verlangsamter Bewegungsablauf
II Erheblichere Minderung der Bewusstseinslage:
Orientierungsstörungen, ausgeprägtere Gedächtnisstörungen, Verarmung des Gefühlslebens, verzögerte Reaktion auf Ansprache.
Verwaschene Sprache (Dysarthrie), feinschlägiges Händezittern, erhöhte Muskelspannung
III Hochgradige Bewusstseinsstörung:
Der Patient schläft die meiste Zeit, ist aber erweckbar, Orientierungsverlust und Verwirrtheit, unzusammenhängende Sprache, verminderte Reaktion auf Schmerzreize.
Erhöhte Muskelspannung bis hin zur "Muskelsteife" (Spastik), Stuhl- und Harninkontinenz, Gang- und Standunsicherheit (Ataxie).
IV Bewusstlosigkeit bis zum Koma ohne Reaktion auf Ansprache und Schmerzreize. Muskelreflexe nicht auslösbar, "Muskelsteife" mit Beuge- und Streckhaltung oder im fortgeschrittenen Stadium Verlust der Muskelspannung.
Tabelle 1

Ursachen für die Entwicklung einer hepatischen Enzephalopathie

Trotz bedeutender Fortschritte zur Ergründung der Pathomechanismen sind die zugrundeliegenden Ursachen der hepatischen Enzephalopathie im Detail noch unklar, so dass hier der Einfachheit halber und des Verständnisses wegen nur die wichtigsten beschrieben werden.

Von den vielfältigen Hypothesen wird der Ammoniakhypothese eine Schlüsselrolle zugeschrieben. Ammoniak wird bei der Spaltung von Nahrungsproteinen (-eiweißen) gebildet, von der Darmschleimhaut aufgenommen und zur Leber weitergeleitet. Dort wird es vor allem durch den sogenannten Harnstoffzyklus eliminiert. Erhöhte Ammoniakwerte finden sich, wenn die für die Ammoniakentgiftung spezifischen Leberzellen in ihrer Zahl und ihrer Funktion durch die verschiedenen chronischen Lebererkrankungen reduziert worden sind.

Andererseits kann Ammoniak im Rahmen des zirrhotischen Umbaus der Leber über Umgehungskreisläufe an der Leber und ihren Eliminationssystemen (Harnstoffzyklus) vorbeigeleitet werden und das Gehirn schädigen. Heutzutage geht man davon aus, dass im Gehirn anfallendes Ammoniak durch spezialisierte Zellen zu Glutamin entgiftet wird.

Bei diesen spezialisierten Zellen handelt es sich um die sogenannten Astrozyten, die im Gehirn unter anderem dem Stoffaustausch zwischen den Nervenzellen und den Blutgefäßen dienen und eine wichtige Rolle im Stoffwechsel von Neurotransmittern (Botenstoffen des Gehirns) spielen. In den Astrozyten angereichertes Glutamin kann durch Flüssigkeitsverschiebungen zum Anschwellen der Astrozyten führen und so die Nervenreizübertragung zwischen den verschiedenen Gehirnregionen beeinträchtigen.

Diagnose

Die Diagnose der hepatischen Enzephalopathie stützt sich hauptsächlich auf den klinischen Untersuchungsbefund zusammen mit den laborchemischen Zeichen einer fortgeschrittenen Leberinsuffienz (GOT, GPT, GLDH, CHE, AP, GT, Thrombozyten, Antithrombin III, Albumin, Quick, Bilirubin) und den Nachweis erhöhter Ammoniakwerte. Normwertige Ammoniakspiegel sprechen jedoch nicht unbedingt gegen das Vorliegen einer hepatischen Enzephalopathie, da sogar bei 10% der Patienten im hepatischen Koma normale Ammoniakspiegel gefunden wurden.

Eine herausragende Rolle in der Diagnose der latenten HE wird den psychometrischen Testverfahren, den sogenannten Papier- Bleistift- Tests, zugeschrieben. Als einer der ersten Tests wurde der Linien- Nachfahr-Test (siehe Abbildung Nr. 2) in die HE-Diagnostik eingeführt. Bei diesem Test, der hier stellvertretend vorgestellt werden soll, haben die Versuchspersonen die Aufgabe, innerhalb einer 4 mm breiten Doppellinie so schnell wie möglich einen Strich zu ziehen, ohne diese zu berühren.

Der Linien-Nachfahr-Test misst auf diese Weise sowohl die Geschwindigkeit und Präzision von feinmotorischen Bewegungsabläufen als auch die visuellräumliche Orientierung und die Konzentrationsfähigkeit unter zeitlichen Stressbedingungen. Kombinationen verschiedener Tests haben gegenüber Einzeltests den Vorteil einer genaueren Erfassung der vielfältigen neuropsychologischen Störungen, die durch einen einzigen Test nicht gewährleistet werden kann. Zusätzlich zu den psychometrischen Verfahren werden für die Diagnostik neurophysiologische Methoden wie die Untersuchung mittels Elektroenzephalogramm (EEG) oder evozierter Potentiale eingesetzt.

Der Nachteil dieser Untersuchungsmethoden besteht in der gegenüber den Papier-Bleistift- Tests geringeren diagnostischen Aussagekraft und dem erhöhten materiellen Aufwand. Die Durchführung von bildgebenden Untersuchungen wie der Computertomographie oder der Kernspintomographie dient vor allem der Differentialdiagnostik d. h. dem Ausschluss anderer Erkrankungen als Ursache einer vorliegenden Bewusstseinsstörung, weniger jedoch der Diagnose der hepatischen Enzephalopathie selbst. Daneben stehen vor allem für wissenschaftliche Fragestellungen die Positronen-Emissions-Tomographie, und die MR-Spektroskopie zur Verfügung.

Therapie

Im Folgenden werden die häufigsten auslösenden Faktoren aufgeführt, die bei einer Leberzirrhose zur Entwicklung einer hepatischen Enzephalopathie führen:

  • Magen-Darmblutungen
  • Diätfehler wie z.B. eine Eiweißdiät oder ein Alkoholgenuss
  • "Beruhigungsmittel / Schlafmittel" wie beispielsweise Benzodiazepine oder eine übermäßige Diuretikatherapie
  • Infektionen

Durch entsprechende Vorsichtsmaßnahmen und geringfügige Veränderungen der Lebensgewohnheiten lassen sich bereits bemerkenswerte Erfolge erzielen. So sollten Patienten mit einer Leberzirrhose eine ausgewogene, ballaststoffreiche Ernährung einhalten und Alkohol meiden. Es muss an dieser Stelle besonders darauf hingewiesen werden, dass entgegen früherer Meinungen eine Eiweißreduktionskost (= Eiweißmangelkost oder Proteinmangelernährung) bei Leberzirrhotikern, die nicht an einer akuten Enzephalopathie- Episode leiden, aus heutiger Kenntnis nicht sinnvoll ist. Anzustreben sind eine tägliche Proteinzufuhr von 0,8 - 1g/kg Körpergewicht, wobei pflanzliches Eiweiß gegenüber tierischem Eiweiß den Vorteil einer ausgeglicheneren Ammoniakbilanz zu haben scheint. Nur während einer akuten Enzephalopathie beispielsweise im Rahmen einer akuten Magen- Darmblutung, die eine bedeutende Eiweißbelastung darstellt, ist eine vorübergehende Beschränkung der Proteinzufuhr auf 20 -30 g/Tag unter ärztlicher Kontrolle von Nutzen.

Die Beseitigung oder Vermeidung der oben beschriebenen, auslösenden Faktoren genügt andererseits in vielen Fällen, eine Enzephalopathie-Episode zu beenden. Infektionen sollten beispielsweise frühzeitig antibiotisch behandelt werden, Beruhigungs- und Schlafmittel wie Benzodiazepine sollten durch andere Medikamente ersetzt werden und eine übermäßige Diurese (Wasserausscheidung) sollte vermieden werden. In unklaren Fällen ist eine Stuhluntersuchung auf Blut und ggf. eine Magenspiegelung zum Ausschluss einer latenten Magenblutung angezeigt.

Die medikamentösen Therapieempfehlungen entsprechen den theoretischen Vorstellungen und Hypothesen zur Entwicklung einer hepatischen Enzephalopathie. Standbein in der Therapie ist daher die Beseitigung erhöhter Blutammoniakkonzentrationen. So dienen die Basistherapeutika Lactulose und Lactitol der Reduktion der Ammoniakkonzentration. Sie vermindern die durch Darmbakterien vermittelte Produktion von Ammoniak und behindern dessen Aufnahme durch die Darmschleimhaut, indem sie eine Veränderung des Bakterienstoffwechsels und eine Ansäuerung des Darminhaltes bewirken. Zusätzlich steigern sie die Stuhlfrequenz. Anzustreben sind Dosierungen, die zu 2- 3 weichen Stühlen pro Tag führen.

Eine Steigerung der körpereigenen Ammoniakentgiftungsleistung wird durch die Gabe von Ornithin-Aspartat erzielt, das als natürliches Stoffwechselprodukt des Harnstoffzyklus gilt und somit den Einbau von Ammoniak in diesen Entgiftungskreislauf der Leber fördert.

Eine Antibiotikatherapie richtet sich vor allem gegen die Ammoniak bildenden Darmbakterien. Früher wurde vor allem Neomycin eingesetzt, dessen längerfristige Einnahme jedoch zu Nieren- und Hörschädigungen führen konnte. Nach neueren Studien sollte Neomycin nicht mehr eingesetzt werden, sondern z.B. durch Metronidazol ersetzt werden.

Darüber hinaus gibt es weitere Therapieansätze z.B. mit Zink, Benzodiazepinantagonisten oder verzweigtkettigen Aminosäuren, die im Einzelfall sinnvoll erscheinen, aber für die es aufgrund der Studienlage derzeit keine generelle Therapieempfehlung gibt. Bei fortgeschrittener Leberinsuffizienz, die mit höhergradigen Stadien der hepatischen Enzephalopathie assoziiert sind, ist letztendlich eine Lebertransplantation in Erwägung zu ziehen.

Zusammenfassung

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die hepatische Enzephalopathie eine Folgeerkrankung einer chronischen Leberinsuffizienz auf dem Boden zirrhotischer Umbauvorgänge ist. Mit psychometrischen Testverfahren, die als Papier-Bleistift- Tests vorliegen, lässt sich bereits das klinisch latente Stadium ohne großen zeitlichen oder materiellen Aufwand sicher diagnostizieren, so dass ein Fortschreiten in höhergradige Stadien frühzeitig verhindert werden kann. Hierzu stehen einige wirksame und gut verträgliche Medikamente wie Ornithin-Aspartat oder Lactulose zur Verfügung.


Dr. med. J. C. Ennen
Prof. Dr. med. K. Weissenborn

Neuro-Metabolische Ambulanz
Klinik für Neurologie und Klinische Neurophysiologie
Medizinische Hochschule Hannover


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Hepatische Enzephalopathie - 11/21

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