Arzt-Patienten-Forum mit Schwäbisch Haller Experten

5.5.2022 - Zum zweiten Mal hat das Diakonieklinikum Schwäbisch Hall, zentrales Klinikum in der Region, zu einem gemeinsamen Arzt-Patienten-Forum mit Lebertransplantierte Deutschland e.V. (LD e.V.) eingeladen. Die Schwäbisch Haller Experten waren Prof. Dr. med. Markus Menges, Chefarzt der Inneren Medizin2 und Dr. med. Nahil Nazli, Nephrologe vom Nierenzentrum in Schwäbisch Hall.  LD e.V. war vertreten durch die Ansprechpartner*innen Wilfried Hess, Heidi Nesper-Eckstein und Jutta Riemer. Über 40 Teilnehmer*innen hatten sich eingewählt.

Dr. Nahil Nazli referierte über „Therapien bei schweren Nierenerkrankungen“. Er stellte fest, dass in Deutschland ca. 1,5 Mio Menschen mit bedeutsamen Nierenschäden leben. Nieren sind „Hochleistungsorgane“. Denn sie filtern die Nieren täglich ca. 1800 Liter Blut, reinigen den Körper von Gift- und Abfallprodukten, regulieren den Wasser- und Elektrolythaushalt sowie das Säure-Basen-Gleichgewicht, stellen den Blutdruck ein, produzieren und bauen auch wieder Hormone ab.

Die Schwere der Nierenerkrankungen wird abhängig von der glomulären Filtrationsrate (GFR) und der Albuminausscheidung im Urin in 5 Stufen (G1-G5) eingeteilt. Wobei Menschen mit der Erkrankung eines weiteren Organsystems automatisch der Gruppe G1 zugehören.

Im Stadium 1 werden keine Symptome festgestellt, auch im Stadium 2 ist der Kreatininwert noch im Normbereich, der Blutdruck kann erhöht und die Urinzusammensetzung auffällig sein. Erst im Stadium 3 finden sich erhöhte Kreatinin-Werte und Eiweiß im Urin! Erst im Stadium 5 sind schwere Symptome zu erkennen, wie Übelkeit, Erbrechen, Gewichtsverlust, Ödeme, Juckreiz, Schlaflosigkeit u.a. Ursächlich für Nierenerkrankungen können Diabestes mellitus, Bluthochdruck, Einnahme von Nephrotoxischen Medikamenten, systemische und angeborene und weitere Erkrankungen sein.

Da Nierenerkrankungen oft schleichend und unbemerkt beginnen, ist besonders viel Wert auf eine frühe Diagnostik und die Vorbeugung zu legen. Dazu gehören ein aktiver Lebensstil, Zucker und Blutdruckwerte im Normbereich, gesunde Ernährung mit wenig Fleisch, wenig Salz und mehr Obst und Gemüse mit ausreichend Flüssigkeitsaufnahme (1,5 – 3 Liter Wasser pro Tag, je nach Witterung). Ab dem mittleren Lebensalter (40-50) sollte 1x pro Jahr eine Nierenuntersuchung stattfinden.

Dr. Nazli mahnte besonders bei Patienten*innen mit Diabetes mellitus den Blick auf einen gut eingestellten Blutzuckerwert zu richten. Denn die GFR sinkt per se bei Diabetes -Patient*innen mit zunehmender Dauer des Diabetes. Wird ein HbA1C-Wert <7 erreicht sinkt das Risiko eines GFR <14ml/min um 22% im Vergleich zu Patienten mit einem HbA1C zwischen 7 und 9%. Liegt der HbA1C sogar über 9% erhöht sich dieses Risiko um 152%. Wichtig für die Nierenfunktion ist es auch den Blutdruck und den Harnsäurewert positiv zu beeinflussen. Neue Empfehlungen sehen den Zielblutdruck bei < 120/80. Auch die Harnsäure sollte im Normbereich liegen, denn die Senkung der Harnsäure um 1mg/dl kann zu einem positiven Anstieg der GFR um 4,6 ml/min führen.  

Liegt eine Niereninsuffizienz vor, sind die Ziele der Therapie das Fortschreiten zu verlangsamen, die Grunderkrankung zu behandeln, Symptome und Komplikationen zu behandeln, das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen zu verringern und so den Beginn einer Dialysebehandlung bzw. Nierentransplantation so weit wie möglich hinauszuzögern. 

Prof. Dr. Markus Menges, Leiter der Inneren Medizin2 im Diakonieklinikum Schwäbisch Hall, erläuterte in seinem Vortrag „Was tun, wenn es ernst wird bei Lebererkrankungen?“ darüber hinaus die Funktion einer gesunden Leber und die Ursachen für verschiedene Lebererkrankungen. Die Leber ist das zentrale Stoffwechselorgan des Menschen. Sie sorgt für die Entgiftung und Verstoffwechselung von zugeführten Stoffen, dient der Eiweißbildung, sie produziert die Gallenflüssigkeit und dient als Stärkespeicher.

Die Leber kann von verschiedenen Krankheitsbildern betroffen sein. Dazu gehört die akute (und chronische) Hepatitis. Zu einer solchen Leberentzündung kann es z.B. durch Viren (A,B,C,D), autoimmune Prozesse oder Vergiftungen kommen. Auch Durchblutungsstörungen (Budd-Chiari-Syndrom), Erkrankungen der Gallenblase und -wege und Verletzungen können die Leber stark schädigen.  Chronische Lebererkrankungen liegen z.B. vor, wenn verschiedene Grunderkrankungen ggf. bis zu einer Leberzirrhose fortschreiten. Dazu gehören die primären (HCC) und sekundären Lebertumore (Metastasen anderer Tumore) die autoimmunen Gallenwegs- und Lebererkrankungen (PBC,PSC, AIH), die alkohol- oder Fettleber induzierte Leberzirrhose und auch angeborene Stoffwechselerkrankungen (Morbus Wilson, Hämochromatose, Alpha 1-Antitrypsinmangel …)

Auch Lebererkrankungen verlaufen zunächst ohne eindeutige Symptome. Wenn es zu Auswirkungen wie bestimmte Hautzeichen, Gelbfärbung der Haut und Augenskleren, Bauchwasser, Speiseröhrenvarizen und Hirnleistungsstörungen kommt, ist die Leber schon schwer geschädigt. Mit den angewendeten Therapien wie z.B. das Abbinden der Krampfadern in der Speiseröhre können die Symptome, nicht die Zirrhose selbst behandelt werden.

Prof. Menges machte nachdringlich auf ein zunehmend größer werdendes Problem aufmerksam: Die Fettleber und Fettleberhepatitis (NASH). In den USA ist die Zirrhose aufgrund einer Fettleberhepatitis bereits die häufigste Indikation zur Lebertransplantation. In den westlichen Ländern nimmt das Problem ebenfalls deutlich zu. Betroffen sind meist Menschen mittleren Alters mit Übergewicht, oft gekoppelt mit Diabetes und Hyperlipidämie. Eine NASH ist letztendlich nur sicher durch eine Leberbiopsie, nicht durch Sonographie und Laborwerte, zu diagnostizieren. Chirurgische Eingriffe bei Vorliegen einer Leberzirrhose sind komplikationsreicher als bei Lebergesunden. Deshalb ist es wichtig vor einem Eingriff das Ausmaß der Zirrhose zu erfassen. Dies wird gemäß aufsteigender Schwere mit CHILD A bis Child C - entsprechend den Untersuchungsergebnissen (Bilirubin, Albumin, Aszites, HE, Quick-Wert) – kategorisiert.   Zur Erfassung der Dringlichkeit einer Lebertransplantation werden die Werte für das Bilirubin, das Kreatinin und INR mithilfe einer Formel verarbeitet. Dieser Wert wird MELD-Score (Model of End-stage Liver Desease) genannt und gibt recht zuverlässig an, wie lange der Patient ohne Lebertransplantation überleben kann. Manche Erkrankungen werden jedoch nicht über diesen Score abgebildet. Der Patient mit einem Lebertumor (HCC) würde durch seine Laborwerte nicht als dringlich eingestuft, der Tumor aber begründet die Dringlichkeit. Solche Patienten erhalten einen sogenannten Match-MELD initial mit 22 Punkten, der nach jeweils drei Monaten um ca. 3 Punkte angehoben wird, so dass auch Tumorpatienten die Chance auf eine rechtzeitige Transplantation haben. Diese und weitere Regelungen erarbeitet die Ständige Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer. Die Klinik in Schwäbisch Hall überweist Patienten mit chronischen Lebererkrankungen zur Abklärung der Listung für eine Lebertransplantation in ein Transplantationszentrum. Der Zeitpunkt der Listung ist wichtig und individuell zu treffen. Ein Überlebensvorteil durch eine Transplantation ist erst ab einem MELD von über 15 belegt.  Im Transplantationszentrum entscheidet eine interdisziplinäre Transplantationskonferenz über die Listung und meldet die Patient*innen an die Stiftung Eurotransplant in Leiden in den Niederlanden, die offizielle Vermittlungsstelle, der 7 weitere europäische Länder angeschlossen sind. Durch den herrschenden Organmangel – auf eine Spenderleber kommen 6 Patienten, die eine solche benötigen würden – kommt es zu langen Wartezeiten und zum starken Fortschreiten der Erkrankung bis zur Transplantation oder gar zum Versterben während der Wartezeit.

Heidi Nesper-Eckstein, Ansprechpartnerin LD e.V. für den Bereich Heilbronn in Baden-Württemberg, berichtete im Anschluss an die Vorträge der Ärzte über Ihre Erfahrungen als Patientin vor und nach einer Lebertransplantation. Sie hatte als junge Mutter eine Leber-Lebendspende von ihrer Schwester erhalten. Sie betonte die Dankbarkeit gegenüber den Ärzten und vor allen Dingen ihrer Schwester. Besonders froh war sie, dass es Ihrer Schwester nach der Lebendorganspende gut geht! Ihre Geschichte können Sie in den „Lebenslinien“ Ausgabe 2/22 nachlesen.

Jutta Riemer, stellvertretende Vorsitzende von LD e.V. zeigte in ihrem Vortrag „Chance Organtransplantation“ an Beispielen auf, dass Menschen verschiedenen Alters, mit unterschiedlichen Grunderkrankungen eine Organtransplantation zum Weiterleben benötigen können und dass keiner weiß, ob das Thema Organspende oder Transplantation ihn selbst oder jemanden in der Familie treffen wird. Die Voraussetzungen für eine Organspende sind die schriftliche oder mündliche Zustimmung zu Lebzeiten oder der mutmaßliche Wille, der bei den Angehörigen erfragt wird. Wenn dieser nicht ermittelbar ist, zählt die Entscheidung der Angehörigen. Nur solche Menschen können Organe spenden, die auf einer Intensivstation versterben und bei denen der Irreversible Ausfall des gesamten Gehirns (AIH = Hirntod) zweifelsfrei festgestellt wurde. Die Hirntoddiagnostik ist streng geregelt und muss von zwei unabhängigen Fachärzten durchgeführt werden, die nichts mit der Spende oder der Transplantation zu tun haben. Die Spenderorgane werden patientenorientiert von der Stiftung Eurotransplant nach Richtlinien der Bundesärztekammer zugeordnet. Die Wartezeiten in Deutschland sind aufgrund des Organmangels noch immer extrem lang. Europaweit steht Deutschland im Hinblick auf die Organspende auf dem drittletzten Platz von 19 Ländern. In den ersten drei Monaten 2022 gingen diese Zahlen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum nochmals um 29% zurück. Ein Drama für die Wartelistenpatient*innen! Jutta Riemer stellte die neuen gesetzlichen Regelungen vor, die ab 1.3.22 in Kraft sind und stellte fest, dass die Umsetzung noch gravierende Lücken aufweist. Die Gründe für den in Deutschland nach wie vor herrschenden Organmangel sind vielfältig und es müssen noch viele Hebel dahingehend in Bewegung gesetzt werden. Auch alle Bürger können solche Hebel bewegen, indem sie selbst ihre persönliche Entscheidung zur Organspende treffen, diese im Organspendeausweis und der Patientenverfügung dokumentieren und diese Entscheidung dann auch mit den Angehörigen besprechen. Liegt im Ernstfall die Entscheidung vor, bedeutet das eine große Entlastung der Angehörigen in einer an sich schon hoch belastenden Situation. Im Jahr 2021 kannten 81% der Angehörigen, die eine Organspende bei ihrem Familienmitglied abgelehnt hatten, nicht, wie der/die Verstorbene dazu gestanden hätte. Vielen potenziellen Spendern ist man hier mit großer Sicherheit nicht gerecht geworden, denn lt. BZgA-Umfrage würden 72% der Befragten nach dem Tode Organe spenden wollen. Jeder kann in seinem Umfeld dafür sorgen, dass das Thema Organspende in den Fokus der Menschen rückt. Denn Transplantation und Organspende kann schon morgen jede Familie treffen.

Text und Bilder: Jutta Riemer

Kontakt

Lebertransplantierte Deutschland e.V.
Montag - Donnerstag 10:00 bis 15:00 Uhr 

Telefon: 02302/1798991
Fax: 02302/1798992

E-Mail: geschaeftsstelle(at)lebertransplantation.de

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