Die zwei Seiten der Medaille

Organspende - ein Thema, womit man sich ungern befasst. Welche Gedanken und Gefühle löst das Wort „Organspende“ bei Ihnen aus? Hoffnung, da durch eine Spende jemandem das Leben gerettet werden kann? Solidarität, der Gedanke, dass fremde Menschen füreinander einstehen? Ein unwohles Gefühl, weil Sie mit der Vergänglichkeit des Lebens konfrontiert werden? Angst, vor dem Kontrollverlust eines Selbst, Unwissenheit über den Ablauf des Procederes oder vor dem Verlust einer geliebten Person? Dass man Themen, die mit dem Tod zu tun haben, so gut wie möglich meidet, ist völlig verständlich. Trotzdem sollten sich nicht nur Betroffene in dieser Situation, sondern auch alle anderen Menschen damit befassen. In Deutschland gibt es durchschnittlich 10,3 Organspenden je eine Million Einwohner jährlich. In anderen Ländern liegt die Zahl der Organspenden deutlich höher, in Spanien z. B. gibt es im Schnitt 46,0 Organspenden pro eine Million Menschen. Nur ca. 40% der deutschen Bevölkerung stimmt eindeutig einer Organspende zu, ebenfalls 40% haben sich nicht entschlossen, ob sie zu einer Organspende bereit wären oder nicht. Und dabei warten allein in Deutschland mehr als 8000 Menschen auf ein Spenderorgan. Also gibt es zu wenig Organspenden?

Wir, die Schülerinnen und Schüler des Instituts für Aus-, Fort- und Weiterbildungen im Gesundheitswesen in Regensburg durften uns mit dieser Thematik befassen, pädagogisch und psychologisch betreut von unserer stellvertretenden Schulleitung Frau Zenger und Dozentin und Frau Dr. Gleixner-Egert. In unserer Ausbildung zu Anästhesietechnischen bzw. Operationstechnischen Assistenten gehört Tod/Sterben und Organspende nicht nur zu unserer praktischen Arbeit in den Krankenhäusern, sondern auch zum Theorieunterricht in der Berufsschule. Wenn wir im beruflichen Umfeld mit der Organspende in Verbindung kommen, befassen wir uns meist nur mit der einen Seite der Organspende: Dem Patienten im OP werden aufgrund des irreversiblen Endes aller Hirnfunktionen (Hirntod) die Organe zur Spende entnommen – oder der Patient im OP bekommt ein gespendetes Organ transplantiert. Doch was steckt dahinter? 

Im Rahmen des Unterrichts im Fach „Arbeits- und Beziehungsprozesse gestalten“ lud unsere Berufsschule zwei Gäste ein, Frau Herzog und Herrn Schlauderer. Die beiden kämpfen schon viele Jahre als Team für mehr Aufklärung in Sachen Organspende. Beide sind betroffen – jedoch auf unterschiedliche Art und Weise. Zuerst begann Herr Schlauderer, seine Geschichte mit uns zu teilen. Bereits als Kind musste er sich mit seiner Gesundheit befassen, da sein Körper Diabetes mellitus Typ 1 entwickelte. Anfang Dreißig ließ die Nierenfunktion von Herrn Schlauderer nach, er musste zur Dialyse und ließ sich auf die Warteliste für eine gespendete Niere sowie Bauchspeicheldrüse setzen. Dann hieß es Abwarten. Bis eines Tages das Telefon läutete. „Wir haben ein passendes Organ.“ Herr Schlauderer kann sich noch ganz genau an den Tag erinnern, seine Frau war hochschwanger und die Familie musste binnen 15 Minuten eine Entscheidung treffen. Er entschied sich für die Transplantation, was er uns als „beste Entscheidung seines Lebens“ erklärte. Nach langem Genesungsweg funktionieren die gespendeten Organe gut, jedoch musste sich Herr Schlauderer einige Jahre später erneut mit dem Thema der Organspende befassen. Nun war es jedoch die Leber, die durch ihre mangelnde Funktion schwere körperliche Beschwerden hervor ruf. Auch hierfür erhielt er glücklicherweise eine Organspende, diesmal dauerte seine Genesung deutlich länger. Er musste mit vielen physischen und psychischen Folgen kämpfen. Nun, einige Jahre nach der Lebertransplantation, saß Herr Schlauderer vor uns Schülerinnen und Schüler und erzählte uns mit drei einwandfrei funktionierenden Spenderorganen seine beachtenswerte Geschichte.

Anschließend erzählte Frau Herzog ihre Geschichte. Sie und Herr Schlauderer bezeichnen sich als „Die zwei Seiten der Medaille“. Herrn Schlauderer, „die eine Seite der Medaille“ wurde durch Organspenden das Leben gerettet, Frau Herzog, „die andere Seite der Medaille“, hingegen musste einen geliebten Menschen gehen lassen, wodurch erkrankten Menschen das Leben gerettet werden konnte. Sie erzählte uns von ihrer Tochter Marlene, die im Alter von 18 Jahren zur Organspenderin wurde. Marlene hatte sich wenige Monate vor ihrem tragischen Unfall mit dem Thema Organspende im Rahmen ihrer Pflegeausbildung beschäftigt, sich für eine Organspende entschieden und dies auf ihrem Organspendeausweis festgehalten. Frau Herzog erinnert sich noch ganz genau an den Tag, an dem sie den Anruf erhielt, dass ein großes Unglück geschehen sei. Nach langem Warten durfte sie ihre Tochter in der Klinik endlich sehen. Beatmet auf der Intensivstation. Heute sagt sie, dass sie das damals gar nicht wirklich verstanden hat, als der Arzt von der ersten Hirntoddiagnostik sprach. Ihre Tochter lag in dem Bett wie immer, ihre Haut war warm und sie hatte lediglich eine kleine Schramme oberhalb der Augenbraue. Als der Hirntod dann aber gesichert wurde und das Thema Organspende aufkam, entschieden sich die Eltern für Marlenes Willen, sie gaben sie zur Explantation frei. Marlene spendete ihr Herz, ihre Leber, beide Nieren und ihre Bauchspeicheldrüse, damit konnte sie vier Menschen das Leben retten. Frau Herzog erklärte uns ihre Situation metaphorisch als „Vollbremsung auf der Autobahn – nichts ist wie davor.“ Für sie gibt es das Leben vor Marlenes Unglück und das Leben danach. Als wäre der Schicksalsschlag für Marlenes Eltern nicht schon schwer genug gewesen, mussten sie sich auch mit viel negativer Kritik rumschlagen, bezüglich der Freigabe zur Organspende ihrer Tochter. Sogar Frau Herzogs Mutter gehörte dazu. Ein ganzes Jahr hat sie Marlenes Mutter die Entscheidung übelgenommen. Dabei hätte in dieser schwierigen Zeit Frau Herzog auch ihre Mutter gebraucht. Es hat lange gedauert, bis Frau Herzog das Schicksal verarbeiten konnte und wieder einen Sinn in ihrem Leben sah. Heute, fast 15 Jahre nach Marlenes Tod, sieht sie es als ihre Aufgabe, für Marlene für die Aufklärung über die Organspende zu kämpfen. 

Am Ende dieses Tages waren wir Schülerinnen und Schüler zum Teil sehr mitgenommen und äußerst beeindruckt von Herrn Schlauderers und Frau Herzogs äußerst bewegenden Geschichten. Beide sind Betroffene der Organspende und doch werden sie an entgegengesetzten Punkten von dem Thema berührt. Trotz allem, sind die beiden immer und immer wieder bereit, ihre Lebensgeschichten zu erzählen, um Außenstehende einen Einblick zu geben und aufzuklären. Eine Entscheidung gegen die Organspende ist auch eine Entscheidung. Herr Schlauderer und Frau Herzog appellieren an die Menschlichkeit, niemand ist gezwungen, Organspender zu werden. Aber eine bewusste Entscheidung, ob ja oder nein, sollte jeder erwachsene Mensch für sich treffen können. Somit wird im schlimmsten Fall den Angehörigen die Entscheidung zum „Ja“ oder „Nein“ abgenommen. Da es in Deutschland die Widerspruchslösung nicht gibt (das heißt, jeder Mensch, der sich nicht ausdrücklich dagegen entscheidet, ist potenzieller Organspender), liegt es in Jedermanns eigener Verantwortung, sich dafür oder dagegen zu entscheiden. 

Abschließend kann man sagen, die Frage „Gibt es zu wenig Organspenden?“ kann man nicht beantworten. Spenderorgane werden benötigt, ja, aber das Problem kann nicht durch künstlich hergestellte Organe gelöst werden. Hinter jedem Spenderorgan steht ein Mensch, der sein Leben aufgeben musste. Das Einzige, was wir tun können, ist, uns mit der Organspende zu befassen und für uns selbst eine Entscheidung zu treffen. Ein Herzliches Dankeschön an Frau Herzog und Herrn Schlauderer, die bereit sind, ihre Erfahrungen zu teilen und für die Aufklärung zur Organspende zu kämpfen.

Text: Lisa Marie Hausberger
Bild: Brigitte Herzog

Kontakt

Lebertransplantierte Deutschland e.V.
Montag - Freitag 9:00 bis 13:00 Uhr 

Telefon: 02302/1798991
Fax: 02302/1798992

E-Mail: geschaeftsstelle(at)lebertransplantation.de

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