Immunsystem und Immunsuppressiva

Dieser Artikel ist entnommen aus den Lebenslinien 1/2015 - Seiten 6-8.

Autoren:

Klinik für Innere Medizin IV
Universitätsklinikum des Saarlandes
Institut für Transplantations- und
Infektionsimmunologie

Immunsystem – Bedeutung und Funktion

Ein funktionierendes Immunsystem ist für den Menschen überlebenswichtig. Es schützt vor Infektionen bzw. heilt und kontrolliert Erkrankungen, die durch Erreger wie Viren, Bakterien, Pilze und Parasiten ausgelöst werden.

Die oftmals unbemerkt ablaufenden Abwehrreaktionen sind komplex und die daran beteiligten weißen Blutkörperchen (Leukozyten) und bereits im Gewebe ansässigen Abwehrzellen erfüllen allesamt spezielle Funktionen und bilden den zellulären Teil der Immunantwort. Ergänzt wird dieser durch die Mechanismen der sogenannten humoralen Immunantwort, zu denen eine Vielzahl von im Blut löslichen Botenstoffen und Eiweißen (Proteinen), wie beispielsweise die Antikörper, gehören. In Abhängigkeit von der Verfügbarkeit der einzelnen Abwehrmechanismen und der Fähigkeit, sich an einen einzelnen Erreger anpassen zu können, erfolgt die Unterteilung in angeborene und erworbene (adaptive) Immunantworten.

Angeboren und unspezifisch

Angeborene Immunantworten setzen bei Erregerkontakt sofort ein. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um einen Erstkontakt mit einem Erreger handelt oder nicht. Bereits die Haut und Schleimhäute mit ihrer natürlichen Flora bilden eine physikalische und chemische Barriere, die vor einem Eindringen von Krankheitserregern schützen kann.

Gelangen dennoch Erreger in den Körper, werden sie von Fresszellen (Makrophagen) und Granulozyten, einer Untergruppe der weißen Blutkörperchen, erkannt und im Idealfall zerstört. Infizierte Körperzellen werden durch ihre veränderte Zelloberfläche von natürlichen Killerzellen erkannt und abgetötet. Freigesetzte Botenstoffe locken weitere Abwehr- und Entzündungszellen an und können Fieber auslösen.

Die Proteine des sogenannten Komplementsystems binden an die Oberfläche von Bakterien, durchlöchern diese und können so die Keime abtöten. Bei diesem Prozess werden ebenfalls Botenstoffe gebildet, die weitere Abwehrzellen anlocken.

Nachteile der Mechanismen des angeborenen Abwehrsystems sind jedoch, dass diese relativ unspezifisch sind, in ihren Abläufen nicht an bestimmte Erreger angepasst werden können und auch nicht alle Erreger entdeckt bzw. erfolgreich abgetötet werden können. Folge ist, dass mit den Mitteln des angeborenen Immunsystems kein Schutz vor einer erneuten Infektion mit demselben Krankheitserreger erreicht werden kann.

Gelernt und spezifisch

Adaptive Immunantworten hingegen sollen zielgerichtet einzelne Krankheitserreger möglichst effektiv und spezifisch bekämpfen. Am Ende eines Reifungsprozesses haben sich dazu aus Lymphozyten (Leukozyten, die im lymphatischen Gewebe, z.B. Thymus, Knochenmark und Lymphknoten reifen) Abwehrzelllinien herausgebildet und vermehrt. Diese sind hoch spezialisiert und darauf geprägt, Bestandteile eines einzigen Krankheitserregers zu erkennen.

Sogenannte T-Lymphozyten können dadurch mit einem bestimmten Erreger infizierte Körperzellen gezielt erkennen sowie abtöten und helfen den sogenannten B-Lymphozyten bei der Bildung von Antikörpern, die gegen den entsprechenden Erreger gerichtet sind. Sofern die Antikörper von einer Zelllinie gebildet werden, sind sie alle identisch.

Antikörper inaktivieren Krankheitserreger, verhindern deren weitere Ausbreitung im Körper und erleichtern anderen Abwehrzellen das Erkennen erregerhaltigen Materials. Nach erfolgreicher Erregerabwehr überleben einige dieser spezialisierten Lymphozyten und bilden als sogenannte Gedächtniszellen eine Art „immunologisches Gedächtnis“, das bei erneutem Erregerkontakt genutzt wird, um diesen Krankheitserreger unmittelbar und höchst effektiv zu bekämpfen, bevor es zur erneuten Erkrankung kommt.

Dies ist der Grund, warum man an bestimmten Infektionen nur einmal erkrankt oder auch Impfungen vor gefährlichen Erkrankungen schützen können, ohne dass man daran erkrankt (z.B. Diphterie und Wundstarrkrampf). Die Ausbildung erworbener Immunantworten nach Erstkontakt mit einem Krankheitserreger benötigt jedoch Zeit und eine spezielle Aufbereitung des Erregermaterials. Daher ist hier ein funktionierendes angeborenes Immunsystem von entscheidender Bedeutung.

Das „Immunologische Gedächtnis“ und Feinregulierung

Zusammenfassend erkennt und bekämpft ein funktionierendes Immunsystem eindringende Krankheitserreger Es bildet ein „immunologisches Gedächtnis“ aus, das vor erneuter Infektion und Krankheit schützt. Darüber hinaus ist es in der Lage, sich selbst zu regulieren, d.h. Abwehrreaktionen gegen harmlose Umwelteinflüsse oder gesundes Körpergewebe zu unterdrücken und Abwehrreaktionen nach erfolgreicher Erregerbekämpfung zu beenden. Ist die Selbstregulation gestört, können Allergien oder Autoimmunerkrankungen auftreten.

Immunsuppressiva: Lebensnotwendige Medikamente nach einer Transplantation

Ein gesundes Immunsystem erkennt jedoch auch bösartig veränderte Körperzellen und fremde Zellen in Gewebe- oder Organtransplantaten und bekämpft diese. Im Fall von Transplantaten führt dies zu Abstoßungsreaktionen, die letztlich zum Transplantatversagen und schlimmstenfalls zum Tod führen können.

Daher ist es nach einer Transplantation zwingend erforderlich, solche Immunantworten zu unterdrücken. Dies kann aktuell nur durch die lebenslange Einnahme bestimmter Medikamente, der Immunsuppressiva, erreicht werden. Ziel der Immunsuppression ist es, dass das neue Organ nicht als körperfremd erkannt und bekämpft wird, das heißt eine Abstoßungsreaktion erfolgreich verhindert wird.

Die Infektabwehr soll dabei möglichst unbeeinträchtigt bleiben. Dennoch gehören gehäufte Infekte, welche ggf. mit anderen Medikamenten behandelt werden müssen, zu den häufigsten Folgen einer medikamentös manipulierten Immunabwehr. Denn eine gezielte Unterdrückung von Abstoßungsreaktionen ohne eine Beeinträchtigung der übrigen Immunantworten ist nicht möglich.

Allerdings lässt sich durch die Einhaltung bestimmter Hygiene- und Verhaltensmaßnahmen das Infektionsrisiko reduzieren. Dazu gehören beispielsweise regelmäßiges Händewaschen, die Meidung großer Menschenansammlungen, das Tragen eines Mundschutzes zum Eigenschutz etwa bei Kontakt mit kranken Personen oder der Verzicht auf den Verzehr roher Lebensmittel. Tritt dennoch Fieber unter Immunsuppression auf, ist aufgrund der gestörten Infektabwehr immer die sofortige Vorstellung in der Klinik unabhängig von der Uhrzeit erforderlich.

Um Infektionen mit Krankheitserregern, für die transplantierte Patienten besonders anfällig und gefährdet sind (Herpesviren, multiresistente Keime wie MRSA, Pilzinfektionen wie Mundsoor und bakterielle Infekte), vorzubeugen, werden zudem vorsorglich zu den Immunsuppressiva zumindest zeitweise Medikamente zur Prophylaxe dieser Infektionen verabreicht (z.B. Antibiotika und Virustatika).

Auch das Risiko, an bestimmten Krebsarten zu erkranken, ist bei Unterdrückung des Immunsystems durch Medikamente deutlich erhöht. Daher sind regelmäßige Krebsvorsorge- und Früherkennungsuntersuchungen von entscheidender Bedeutung, um bösartige Veränderungen frühzeitig erkennen und behandeln zu können.

Welche Immunsuppressiva? Individualität groß geschrieben!

Zur Immunsuppression wird heutzutage standardmäßig eine Kombination mehrerer immunsuppressiver Medikamente eingesetzt, die für jeden Patienten individuell so dosiert werden müssen, dass das Therapieziel erreicht wird. Wie jedes Medikament haben aber auch die einzelnen Immunsuppressiva ihre unerwünschten Nebenwirkungen.

Durch den kombinierten Einsatz mehrerer immunsuppressiver Substanzen sollen einerseits diese unerwünschten Nebenwirkungen durch geringere Dosen der einzelnen Präparate reduziert werden und andererseits durch die unterschiedlichen Wirkmechanismen der Medikamente Transplantatabstoßungen möglichst effektiv verhindert werden.

In den ersten Tagen nach der Transplantation werden zumeist vier unterschiedliche Medikamente (zunächst über die Vene und sobald möglich als Kapseln, Tabletten oder Saft) verabreicht. In den ersten Wochen und Monaten werden dann in der Regel drei Medikamente, verteilt auf zwei Einnahmezeitpunkte am Tag, gleichzeitig verabreicht. Eventuell kann nach einem längeren Zeitraum und stabilem Verlauf die Dosierung einzelner Präparate reduziert werden und evtl. in der Folge auf ein Präparat gänzlich verzichtet und auf eine duale Therapie umgestellt werden.

Welche Medikamente im Einzelfall zur Anwendung kommen, richtet sich nach den Erfahrungen des Transplantationszentrums, den aktuellen Empfehlungen der Leitlinien, dem transplantierten Organ, da dies unmittelbar Einfluss auf das Abstoßungsrisiko hat (Herz > Lunge > Niere > Leber) sowie z.B. Risikofaktoren und Unverträglichkeiten von Seiten des Patienten. Am häufigsten werden sogenannte Calcineurin-Inhibitoren, Zellteilungshemmer und Kortikosteroide zusammen mit Antikörpern verwendet.

Antikörper

In der sog. Induktionstherapie zum Zeitpunkt der Transplantation und auch zur Behandlung schwerer Abstoßungsreaktionen kommen Antikörper gegen Lymphozyten bzw. T-Zellen zur Anwendung. Diese können die Immunzellen entweder inaktivieren oder sogar zerstören und sollen verhindern, dass in der Zeit unmittelbar nach der Transplantation, in der das Risiko für Abstoßungen am höchsten ist, eine erworbene Immunreaktion mit Ausbildung von Gedächtniszellen gegen das Spenderorgan ausgebildet wird. Sie werden auch eingesetzt, um Immunreaktionen im Rahmen von Abstoßungen zu kontrollieren. Je nach Transplantationszentrum kommen Basiliximab (Simulect®), Antithymozytenglobulin (ATG) oder Muromonomab-CD3 (Orthoclone OKT3) zum Einsatz. Allen Antikörpern ist gemeinsam, dass sie ausschließlich über die Vene verabreicht werden können und durch ihren Wirkmechanismus eine besonders starke Immunsuppression erreicht wird, was die hohe Infektanfälligkeit unter Therapie mit Antikörpern bedingt.

Calcineurin-Inhibitoren

Vertreter dieser Wirkstoffgruppe sind Ciclosporin A (Sandimmun ®/Sandimmun Optoral®) und Tacrolimus (Prograf®/Advagraf®), welche die Aktivität des Enzyms Calcineurin hemmen, wodurch letztlich die Aktivierung von T-Zellen gehemmt wird. Beide Wirkstoffe müssen genau nach Blutspiegeln dosiert und eingenommen werden. Bei Unterdosierung droht eine Transplantatabstoßung, Überdosierungen gehen mit vermehrten Nebenwirkungen und Infekten einher. Typische Nebenwirkungen von Calcineurin-Inhibitoren sind Nierenfunktionsstörungen, Zittern, Blutdruckanstieg und Magen-Darm-Störungen.

Man unterscheidet innerhalb dieser Substanzgruppe zwischen den sog. mTOR-Inhibitoren Sirolimus (Rapamune®) und Everolimus (Certican ®) sowie den sog. Antimetaboliten Mycophenolat Mofetil (CellCept®), Mycophenolsäure (Myfortic®) und dem ältesten unter diesen Wirkstoffen Azathioprin (Imurek®). Sie greifen an unterschiedlichen Stellen in die Zellteilung und -vermehrung von Körperzellen ein, wobei Lymphozyten besonders empfindlich auf diese Wirkstoffe reagieren und stärker gehemmt werden als die übrigen Körperzellen.

Zu den am häufigsten verursachten unerwünschten Arzneimittelwirkungen zählen neben Blutbildveränderungen wiederum Magen-Darm-Beschwerden und insbesondere bei den mTOR-Inhibitoren Wundheilungsstörungen, weswegen Sirolimus und Everolimus nicht als Basismedikament direkt nach der Transplantation verwendet werden können. Ein Ersatz des Calcineurin-Inhibitors kann dementsprechend erst nach einigen Wochen erfolgen. mTor-Inhibitoren müssen wie Calcineurin- Inhibitoren nach Blutspiegeln dosiert eingenommen werden.

Diese hochwirksamen Medikamente sind in ihrem Aufbau und ihrer Wirkung einem körpereigenen Hormon, dem Cortisol, nachempfunden. Dieses hat neben entzündungshemmenden und immunsuppressiven viele weitere Wirkungen, die bei Gabe höherer Dosen dieser Medikamente zu den typischen Nebenwirkungen der Kortikosteroide führen können. Aufgrund ihrer guten Wirksamparatekeit sind sie jedoch zentraler Bestandteil erfolgreicher Therapieregime nach der Transplantation eines körperfremden Organs sowie in der Behandlung akuter Abstoßungsepisoden.

Licht und Schatten – mit Nebenwirkungen umgehen!

Die zu Beginn benötigten, sehr hohen und nebenwirkungsreichen Dosen können im weiteren Verlauf rasch reduziert werden, bis eine sogenannte Erhaltungsdosis erreicht ist.

Typische Nebenwirkungen, insbesondere bei regelmäßiger Einnahme über einen längeren Zeitraum, können äußerlich sichtbare Körperveränderungen wie eine körperstammbetonte Gewichtszunahme mit Vollmondgesicht und verstärkten Fetteinlagerungen im Nacken (sogenannter Stiernacken) sowie Hautveränderungen (Pergamenthaut und Neigung zu Akne) sein. Durch hormonelle Veränderungen können gehäuft Stimmungsschwankungen auftreten. Dabei reicht das Spektrum im Extremfall von Euphorie bis hin zu Depressionen mit eventuellen Selbstmordgedanken. Erneute Schübe bereits zuvor bestehender psychischer Erkrankungen können ebenfalls ausgelöst werden. Des Weiteren ist das Risiko für Bluthochdruck, Diabetes und Osteoporose sowie ein Magen- und/oder Dünndarmgeschwür deutlich erhöht. Die optimale Zuckereinstellung bei Diabetes mellitus gestaltet sich oftmals schwierig, da Glukokortikoide den Blutzuckerspiegel erhöhen. Für den Patienten bedeutet das, dass es zeitweise notwendig sein kann, Insulin zu spritzen.

All die genannten Nebenwirkungen sind dafür verantwortlich, dass bei den Steroiden die Therapietreue am ehesten leidet. Aber auch die Nebenwirkungen der übrigen Medikamente können für einzelne Patienten so unangenehm werden, dass Tabletten absichtlich weggelassen werden. Dies kann jedoch Abstoßungsreaktionen provozieren, die zur Schädigung oder gar zum Verlust des Transplantats und schlimmstenfalls zum Tod führen können. Deshalb sollten Probleme/ Unsicherheiten mit der Medikamenteneinnahme, Laborwerten und/oder Nebenwirkungen, die eventuell als unerträglich empfunden werden, unbedingt offen und ohne Scheu mit dem Arzt besprochen und hinterfragt werden. Wichtig ist, dass der Patient weiß und versteht, warum die Immunsuppression erforderlich ist und dass sie Nebenwirkungen haben kann. Bei Problemen kann und soll sich jeder Transplantierte jederzeit in der nachsorgenden Praxis bzw. Klinik vorstellen.

Nicht vergessen – Blutspiegelkontrolle

Die Kontrolle der Immunsuppressiva- Spiegel (Calcineurin- und mTOR-Inhibitoren) und erforderliche Dosisanpassungen erfolgen während des Krankenhausaufenthalts zur Transplantation und danach im Rahmen der ambulanten Kontrolluntersuchungen. Dass diese Medikamentenspiegel u.a. abhängig vom Körpergewicht des Patienten und der Geschwindigkeit, mit der die Medikamente verstoffwechselt werden, macht regelmäßige Kontrollen erforderlich.

Es existieren zudem keine fixen Standarddosierungen. Zum Erreichen der gewünschten Zielspiegel und auch zur Vermeidung unnötiger Konzentrationsschwankungen im Blut ist die regelmäßige Einnahme zu zwei festen Zeitpunkten im Abstand von jeweils 12 Stunden notwendig. Abweichend davon ist das Tacrolimuspräparat Advagraf® aufgrund seiner gleichmäßigeren und länger anhaltenden Wirkstoffabgabe nur einmal alle 24 Stunden einzunehmen und daher für Patienten mit stabilen Spiegeln im Zielbereich geeignet.

Zu beachten ist außerdem, dass durch Wechselwirkung mit anderen Medikamenten und auch Nahrungsmitteln Spiegelschwankungen auftreten können. Aufnahme, Verstoffwechselung und Ausscheidung der Immunsuppressiva werden beeinflusst. Exemplarisch sei hier auf Grapefruitsaft verwiesen. Generell kann es zu Spiegelsteigerungen und -abfällen kommen. Auch Durchfallerkrankungen können zu Spiegelentgleisungen führen und sollten Anlass zur Spiegelkontrolle geben. Darüber hinaus spielt die Formulierung des Immunsuppressivums eine Rolle.

Da sich die Wirkstoffaufnahme aus den Tabletten je nach Hersteller unterscheiden kann, sollte ein einmal gewähltes Präparat, ob Original oder Generikum, nicht gewechselt werden (Verordnung aut idem). Der betreuende Transplantationsmediziner sollte über alle Präparate, ob regelmäßig oder nur gelegentlich eingenommen, informiert werden. Pflanzliche Präparate, Nahrungsergänzungsmittel und homöopathische Mittel sollten hiervon keine Ausnahme bilden.

Welche Immunsuppressiva in welchen Dosierungen ein einzelner Patient einnehmen muss, sollte vor dem Hintergrund der weitreichenden Konsequenzen durch einen erfahrenen Transplantationsmediziner unter Berücksichtigung vieler Faktoren, die das individuelle Abstoßungsrisiko für den Patienten charakterisieren, getroffen werden. Hierzu gehören z.B. die Art des transplantierten Organs, die Erkrankung, die zur Transplantation geführt hat, der Zeitpunkt nach der Transplantation oder bereits aufgetretener Komplikationen und auch die individuellen Lebensumstände und Bedürfnisse des Patienten. Hier ist eine vertrauensvolle Arzt-Patienten-Beziehung von entscheidender Bedeutung. Nur wenn der behandelnde Arzt die Probleme seines Patienten kennt, kann gemeinsam nach Lösungen gesucht werden.

Auch das Gespräch mit anderen Transplantierten, z.B. in Selbsthilfegruppen und mit Angehörigen, kann eine wertvolle Hilfe sein, um sich mit der Situation und den Veränderungen nach einer Organtransplantation auseinanderzusetzen und diese verarbeiten zu können.

GLOSSAR

Calcineurin-Inhibitoren:

Ciclosporin, Tacrolimus greifen in die Signalwirkung und Aktivierung der T-Zelle ein und verhindern eine Bildung und das Angreifen von Zytokinen, die die Immunaktivierung vorantreiben würden. Darum wirken sie als Immunsuppressiva.

Cytochrom P450 = Cyp450:

Cytochrome P450 sind körpereigene Enzyme, die für die Biotransformation von Arzneimitteln von zentraler Bedeutung sind. 3A4 und 3A5 sind Untergruppen des P450- Enzyms.

Komplementäre Arzneimittel/Pflanzenmedizin:

Nahrungsergänzungen wie Vitamine, Multivitaminkomplexe, Homöopathika, chinesische Arzneimittel oder Pflanzenzubereitungen, Süßigkeiten/ Hustenbonbons mit Lakritze (Süßholz = Succus liquiritiae), Kosmetika zum Einnehmen, wie hautverbessernde Dragees o.ä., Schlankheitsmittel, -pulver, die mit Vitaminen, Spurenelementen und sonstigen Zusätzen versehen sein können.

Austauschverbot jetzt auch für Tacrolimus-Präparate

Die neue Substitutionsausschlussliste

Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA)* hat schon im September Arzneimittel festgelegt, die von den Apotheken nicht durch ein wirkstoffgleiches Produkt ersetzt werden dürfen. Am 10.12.2014 ist die Liste dieser nicht-substituierbaren Substanzen nach der Veröffentlichung im Bundesanzeiger offiziell in Kraft getreten. Neben den Immunsuppressiva Tacrolimus (Hartkapseln) und Ciclosporin (Weichkapseln und Lösung zum Einnehmen) sind auf der G-BA-Liste noch drei Wirkstoffe von Herzmitteln (Betaacetyldigoxin, Digitoxin und Digoxin), das Schilddrüsenmedikament Levothyroxin sowie das Antiepileptikum Phenytoin zu finden.

Seit 1.4.2014 hatte schon Austauschverbot für Immunsuppressiva mit dem Wirkstoff Ciclosporin bestanden. Da Tacrolimus- Präparate (z.B. Prograf®, Advagraf® und die entsprechenden Generika zum Prograf®) ebenfalls zu den Critical-Dose- Medikamenten gehören**, war es auch die dringende Forderung der Patienten, diesen Wirkstoff auf die Liste zu nehmen. Vor der Austauschverbotsregelung konnte es leichter zur für die Patienten und ihr Transplantat gefährlichen, unkontrollierten „Umstellung“ und somit zum nicht gewollten und nicht sinnvollen ständigen Wechsel der immunsuppressiven Präparate kommen.

Die Pflicht zum Austausch des verordneten Medikaments durch eine kostengünstige Alternative galt bisher nur dann nicht, wenn der Arzt diesen Austausch auf dem Rezeptvordruck bewusst ausgeschlossen hat. Nun ist der Präparate-Austausch verboten. Der Apotheker muss das aufgeschriebene Medikament abgeben. Patienten sollten aber darauf achten, dass der Arzt den korrekten Namen des Medikaments aufschreibt, auf das er eingestellt ist. Ärzte dürfen nicht nur den Wirkstoff aufschreiben: also nicht nur Tacrolimus 1mg, sondern z.B. Prograf 1mg! Ist der Patient auf ein Generikum eingestellt, dann muss dessen Name und die Dosierung korrekt aufgeschrieben auf dem Rezept stehen. Denn auch dieses darf dann sinnvollerweise nicht ausgetauscht werden.


In jedem Fall gilt: Veränderungen in der immunsuppressiven Therapie: Immer gemeinsam mit dem Transplantationszentrum!


Quellen:

Gemeinsamer Bundesausschusses: www.g-ba.de, unter Pressemitteilungen – Arzneimittel, PM v. 18.9.2014

Bundesanzeiger: www.bundesanzeiger.de, Suchbegriff: AT 09.12.2014, Amtlicher Teil Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte: www.bfarm.de, unter Arzneimittel – Risikobewertungsverfahren

* Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) ist das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung von Ärzten, Zahnärzten, Psychotherapeuten, Krankenhäusern und Krankenkassen in Deutschland. Rechtsgrundlage der Arbeit des G-BA ist das Fünfte Sozialgesetzbuch (SGB V).

** Critical-Dose-Medikament: Medikamente, bei denen bereits geringfügige Dosis- oder Konzentrationsänderungen des Wirkstoffs zu bedeutsamen Veränderungen der Wirkung oder zu schwerwiegenden Nebenwirkungen führen können.

Original oder Generikum? Aufgepasst beim Arzneimitteltausch!

Wissenswertes für transplantierte Patienten im Kontakt mit Arzt und Apotheker

In der Ausgabe 1/2010 unserer der Patientenzeitschrift „Lebenslinien“ hatte Chefapotheker Dr. Hans-Peter Lipp vom Universitätsklinikum Tübingen in einem ausführlichen Artikel darauf hingewiesen, dass Medikamente mit gleichem Wirkstoff, aber von einer anderen Firma hergestellt - so genannte Generika (Einzahl: Generikum) - nicht unbedingt 1:1 auszutauschen sind. In diesem Merkblatt greifen wir das Thema aus aktuellem Anlass und wegen verstärkter Nachfragen transplantierter Patienten nochmals auf. Viele transplantierte Patienten nehmen das Medikament Prograf® von der Firma Astellas ein. Hierfür ist inzwischen ein Generikum auf dem Markt.

„Critical Dose-Pharmaka“ – Was ist das?

Arzneistoffe mit enger therapeutischer Breite werden häufig auch als so genannte „Critical Dose- Pharmaka“ bezeichnet. Es erfolgt eine individuelle Einstellung des Patienten auf das Medikament. Schon geringe Abweichungen können den Therapieerfolg gefährden und der bloße unkritische 1:1 Austausch kann fatale Folgen haben. Zu diesen Medikamenten gehören auch immunsupprimierende Medikamente für Transplantierte, z.B. mit den Wirkstoffen Cyclosporin und Tacrolimus.

Für Cyclosporinanwender ist das Thema Generika nicht mehr so neu. Für das Medikament Prograf® mit dem Wirkstoff Tacrolimus greift der Patentschutz erst seit kürzerer Zeit nicht mehr. Nun ist auch hier ein Generikum auf dem Markt und die Patienten müssen erkennen, welches wirkstoffgleiche Medikament verordnet wird. (Nicht verwechseln: Für das Medikament Advagraf ®, die retardierte Form von Tacrolimus, die nur einmal täglich genommen wird, gibt es kein Generikum, da dafür noch längere Zeit Patentschutz besteht)

Bioverfügbarkeit – Blutspiegelkontrolle - Nebenwirkungen

Für diese wirkstoffgleichen Medikamente wird vom Transplantationszentrum der individuell erforderliche Zielspiegel der Blutkonzentration des Medikamentenwirkstoffes vorgegeben und der Patient darauf eingestellt. Auch geringe Abweichungen dieses Spiegels können im Falle der immunsuppressiven Therapie nach Organtransplantation bei einer Unterdosierung Abstoßungen oder auch bei Überdosierung Verstärkung von Nebenwirkungen bewirken. Durch regelmäßige Blutspiegelkontrolle und Anpassung der Dosierung des Medikaments soll dies vermieden werden.

Es ist nicht immer davon auszugehen, dass der Patient auf den Wirkstoff in anderer Zubereitung in gleicher Weise/Intensität reagiert wie das seither gewohnte Präparat. Schon eine eventuell unterschiedliche Bioverfügbarkeit verändert den optimalen Verlauf des Wirkstoffspiegels bis zur nächsten Medikamenteneinnahme erheblich. Das heißt: Selbst die Einnahme der gleichen Wirkstoffmenge mit dem Originalpräparat und mit einem Generikum muss nicht bedeuten, dass der Patient auch damit jeweils den gleichen Blutspiegel (und damit die gleiche Wirksamkeit!) erreicht.

Keine unkontrollierte Umstellung von „Critical Dose-Pharmaka“

Eine Umstellung der Immunsuppression nach Organtransplantation sollten daher grundsätzlich nur in Abstimmung und unter Kontrolle des Transplantationszentrums und mit einem eventuell engmaschigeren Blutspiegelmonitoring erfolgen. Inzwischen gibt es für die Immunsuppressiva Cyclosporin und Tacrolimus, demnächst auch bei MMF, Generika, d.h. Arzneimittel mit dem gleichen Wirkstoff. Das bedeutet gleichzeitig, dass ungewollte und unkontrollierte Umstellungen stattfinden könnten. Das soll vermieden werden.

Achtung beim Arzt!

Wenn keine Umstellung vorgesehen ist, sollte daher der Arzt ausdrücklich den Präparatenamen (nicht nur den Wirkstoff) aufschreiben und das Aut-idem-Feld ankreuzen. Unkontrollierte Umstellungen können so vermieden werden. Um Wege zu sparen und Missverständnisse zu vermeiden, sollte sich der Patient das Rezept anschauen, bevor er damit in die Apotheke geht.

Achtung in der Apotheke!

Eine ungewollte „Umstellung“ kann aber auch bei der Abgabe in der Apotheke erfolgen.Denn durch Rabattverträge zwischen Arzneimittelherstellern und Krankenkassen wird im Wesentlichen festgelegt, welches wirkstoffgleiche Präparat der Apotheker bei Vorliegen eines Rezeptes abgibt. Dies ist entsprechend im Rahmenvertrag zur Arzneimittelversorgung vom 1. April 2008 festgelegt.

Wurde kein Aut-Idem-Kreuz durch den Arzt gesetzt, erhält der Patient das Präparat der Firma, mit dem die Krankenkasse einen entsprechenden Rabattvertrag abgeschlossen hat. Bei vielen Medikamenten ist dies aus gesundheitsökonomischen Gründen sinnvoll und nützlich und hat keine Nachteile für den Patienten. Anders ist dies bei den erwähnten „Critical Dose-Pharmaka“. Hier sollte eine unkontrollierte Umstellung ohne mehrfache Wirkstoffspiegelkontrolle nicht stattfinden.

Wird auf ein Generikum kontrolliert umgestellt, ist darauf zu achten, dass danach dieses auch konsequent verordnet wird.Ohne Aut-Idem-Kreuz muss der Apotheker - jetzt auch bei Prograf ® - u.U. austauschen, d.h. ein Generikum abgeben. Teilweise gibt es jedoch über die Rabattverträge der Krankenkassen mit dem gesamten Spektrum eines Unternehmens Zusatzvereinbarungen der Kasse für „Critical-Dose-Präparate“. Eventuell lohnt sich hier das Nachfragen.

Zusammenfassung und Tipps:

Achtung! Wird die gleiche gewohnte Wirkstoffmenge des immunsuppressiven Medikaments mit einem anderen, für den Patienten neuen Präparat eingenommen, kann es sein, dass der Patient damit z.B. einen erheblich geringeren (oder höheren) Wirkstoffspiegel im erreicht. Wird das nicht entsprechend überwacht und eingestellt, kann es zu Abstoßungsreaktionen (oder übermäßigen Nebenwirkungen) kommen, die u.U. sehr spät erkannt werden!

Tipp für den Patienten:

Bei immunsuppressiven Medikamenten für Transplantierte immer darauf achten,

  1. dass der Arzt den Namen des Präparats (nicht nur den Wirkstoff!) des Medikaments auf das Rezept schreibt, auf das kontrolliert eingestellt (bzw. umgestellt) wurde.
  2. dass der Arzt das Aut-Idem-Kreuz auf dem Rezept setzt!
  3. dass vom Apotheker immer das verordnete Medikament abgeben wird, auf das man eingestellt wurde.

Ansonsten sollte man unbedingt um Rücksprache mit dem Arzt bitten. (vielleicht wurde das Aut-Idem-Kreuz nur vergessen!)


J. Riemer, Biologin