Psychosoziale Belastung im Verlauf von Lebertransplantation

Lebertransplantationen werden heute als Standardverfahren bei lebensbedrohenden Lebererkrankungen durchgeführt. Obwohl diese Behandlung von der medizinischen Seite her inzwischen fast Routine ist, lässt im extremen Gegensatz dazu die psychologische Betreuung von Transplantationskandidaten und Transplantierten zu wünschen übrig.

Kaum ein Betroffener würde wohl in Frage stellen, dass eine Lebertransplantation neben dem großen medizinischen Eingriff auch ein großer Eingriff in den Alltag und das Leben ist. Im Verlauf der Erkrankungsgeschichte einer Lebertransplantation entstehen zahlreiche Situationen, die für einen Betroffenen psychische Belastungen bedeuten. Welche Belastungen dies jedoch im einzelnen sind, wurde bislang nur wenig untersucht.

Untersuchung über psychosoziale Belastungen

Psychosoziale Belastungen - GesundheitszustandIm Rahmen einer psychologischen Diplomarbeit an der Universität Würzburg wurde in Zusammenarbeit mit der Selbsthilfe Lebertransplantierter Deutschland e.V. eine Fragebogenuntersuchung durchgeführt, die der Frage nach psychosozialen Belastungen im Verlauf einer Lebertransplantation nachging. 42 Personen wurden zu ihrer Erkrankungsgeschichte und zu dadurch entstandenen Belastungen befragt. Ziel der Untersuchung war es, Hinweise darauf zu finden, wo und in welcher Weise von psychologischer Seite aus sinnvoll Hilfestellungen zur Krankheitsbewältigung gegeben werden können.

Nach den Ergebnissen dieser Studie sehen sich Menschen, die eine Lebertransplantation hinter sich haben, im allgemeinen als körperlich und psychisch recht gesund. Der überwiegende Teil der untersuchten Personen schätzt den eigenen Gesundheitszustand nach der Transplantation als sehr gut oder gut ein (s. Abb.1). Auch erleben sich die Transplantierten kaum als Patienten und nur zu einem geringen Teil als chronisch krank (s. Tabelle). Kaum einer leidet unter behandlungsbedürftigen Depressionen.

 

Aussagen: Wie sehen die Befragten ihre Erkrankung und sich selbst
Selbstbild der Erkrankung
völlig gesunder Mensch 10 %
gesunder Transplantierter 50 %
chronisch Kranker 24 %
Patient 5 %
anders/fehlend 12 %
Tab. 1

Trotz dieser positiven Selbsteinschätzung berichten die in der Studie untersuchten Betroffenen für ihre aktuelle Lebenssituation und für die vergangene Zeit, die sie als Leberkranke und Transplantierte durchlebten, eine Vielzahl von Situationen und Erlebnissen, die für sie belastend waren.

Die einzelnen Erkrankungsphasen werden als unterschiedlich stark belastend erlebt (s. Abb.2). Tendenziell ist das Belastungsempfinden in den frühen Phasen vor der Transplantation mit Ausnahme der Entscheidungsphase stark. In den späteren Phasen tritt eher schwächere Belastung auf, wobei die Intensivstation noch einmal einen Belastungshöhepunkt darstellt.

Hoch belastete Zeiten sind für Lebertransplantierte die Phasen, in denen sie mit ihrer Erkrankung und mit der Transplantation konfrontiert werden und die Zeit, in der sie auf die Warteliste gesetzt werden sollen. In diesen drei Phasen treten die Situationen auf, die als am stärksten belastend angegeben werden. Außerdem findet sich zu diesen Zeiten ein hoher Anteil an stark belasteten Betroffenen. Keiner der Untersuchten erlebt eine dieser Phasen als belastungsfrei.

Besonders wenig belastend dagegen bleiben der Krankenhausaufenthalt, die Rehabilitation und das erste Jahr nach der Transplantation in Erinnerung. Auch in der gegenwärtigen Lebenssituation ist meist schon eine Langzeitanpassung erreicht, die mit wenig belastenden Situationen verbunden ist.

Hilfe möglichst früh

Aus den unterschiedlich hohen Belastungsintensitäten in den verschiedenen Erkrankungs- und Transplantationsphasen lässt sich schließen, dass psychologische Hilfe möglichst früh - in den hochbelasteten Phasen - ansetzen sollte. Dies erscheint besonders auch sinnvoll, da sich in der Studie zeigen lies, dass sich spätere Belastungen oft aus früheren vorhersagen lassen. Frühzeitig begonnenen psychologische Betreuung kann so unter Umständen spätere Belastungen abfangen.

In der Phase Diagnose charakterisieren die genannten Belastungen die Angst vor der Erkrankung, die durch die Diagnose ausgelöst wurde und das Erleben, krank zu sein. Unsicherheit und Angst vor der Transplantation kommen in der Phase der Konfrontation hinzu. In der Zeit, in der die Betroffenen auf die Warteliste aufgenommen werden und auf den Aufruf zur Transplantation warten, steht das Erleben der fortschreitenden Erkrankung als Belastungsauslöser im Vordergrund.

Die Belastung auf der Intensivstation ist gekennzeichnet durch Abhängigkeitsgefühle und Alpträume. In der stationären Zeit im Krankenhaus stehen große Probleme durch das Erleben von Nebenwirkungen der Medikamente an erster Stelle. Die strengen Hygienevorschriften und die aufkommende Frage nach dem Spender des neuen Organs sind zwar für viele Betroffene aktuell und belastend, wirken dagegen aber nicht so stark belastend.

Diese Frage nach dem Spender ist auch in der Zeit der Rehabilitation und im ersten Jahr nach der Transplantation noch aktuell. Daneben lösen Faktoren, die unmittelbar durch die Transplantation bedingt sind, bei vielen Personen Belastungen aus: das Erleben des körperlichen Eingeschränkt-Seins in der Rehabilitation und die Nebenwirkungen der Medikamente im Folgejahr der Transplantation.

Diese unmittelbaren Transplantationsfolgen wirken auch noch in der aktuellen Lebenssituation häufig als Belastungsfaktoren. Die Rolle der Medikamente als Belastungsfaktor spiegelt sich letztendlich noch einmal zeitunabhängig im Verlauf der Transplantation.

Häufige Belastungsschwerpunkte im Erkrankungszeitraum vor und nach der Transplantation sind demnach Ängste und das Erleben körperlicher Einschränkungen. Abhängigkeitsgefühle, Belastungen durch unerwünschte Wirkungen der Medikamente und die Frage nach dem Spender kommen durch die Transplantation dazu.

Wer ist der Spender der Leber?

Die Frage nach dem Spender der neuen Leber beschäftigt Betroffene häufig. Diese Frage taucht an vielen Stationen im Leben der Transplantierten auf. Dennoch wird dies aber als nur wenig belastend erlebt und je mehr Zeit nach der Transplantation vergangen ist, desto schwächer wird diese Belastung angegeben.

Dieses Ergebnis ist besonders bemerkenswert, da die Studie insgesamt auch ergibt, dass ethische Themen wie Schuldgefühle, Fremdkörpererlebnisse oder Überlegungen zu religiösen oder ethischen Überzeugungen nur von wenigen der Befragten als belastend erlebt werden. In den Medien dagegen und in der öffentlichen Meinung werden solche Bedenken oft als die psychischen Probleme Organtransplantierter diskutiert. Nach den vorliegenden Ergebnissen scheint jedoch die Situation, den Tod des Spenders, eigene Schuldgefühle und ethische Bedenken verarbeiten zu müssen, kein stark belastender Faktor für Lebertransplantierte zu sein. Im persönlichen Kontakt berichten Betroffene, dass sie sich dessen bewusst sind, dass der Spender ihnen ein großes Geschenk gemacht hat, aber nicht für sie gestorben ist.

Folgerungen

Die thematischen Belastungsschwerpunkte, die die vorliegende Untersuchung gezeigt hat, sprechen dafür, dass psychologische Hilfe bei Lebertransplantierten konkret, problemspezifisch und verhaltensorientiert sein sollte. Die Studie hat verdeutlicht, dass die Probleme Lebertransplantierter nicht vornehmlich in der Aufarbeitung ethischer Fragen und Schuldgefühle liegen, sondern in der Bewältigung von Angst und von krankheitsbedingten körperlichen Schwierigkeiten. Das Erlernen von Entspannungstechniken und Stressbewältigungsverfahren kann in Kombination mit guter Aufklärung und sachbezogener Information ein guter Ansatz zur Bewältigung von Ängsten sein. Die psychologische Schulung des Personals im Transplantationszentrum, insbesondere auf der Intensivstation, erscheint als eine wichtige Ergänzung.

Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass sich für den Verlauf von Lebertransplantationen Belastungen und Probleme identifizieren lassen, an denen mit psychologische Verfahren und durch psychologische Betreuung gearbeitet werden könnte. Für die Bundesrepublik Deutschland ist mit der Festschreibung der Verpflichtung zu psychischer Betreuung der Patienten im Transplantationsgesetz von 1997 ein erster Schritt zur Verbesserung der psychosozialen Situation Organtransplantierter getan. Wie diese Verpflichtung umgesetzt wird, wird und muss sich in den kommenden Jahren erweisen.

An dieser Stelle noch einmal ein herzliches Dankeschön an alle, die an der Untersuchung teilgenommen haben. Ohne ihre Mitarbeit wäre diese Untersuchung nicht zustande gekommen.


Diplom-Psychologin Claudia Müller

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E-Mail: geschaeftsstelle(at)lebertransplantation.de

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