Ösophagusvarizen

Die wichtigsten Komplikationen der Leberzirrhose sind die hepatische Enzephalopathie (Funktionsstörung des Gehirns), die Bildung von Aszites (Bauchwassersucht) und Blutungen aus Ösophagusvarizen (Krampfadern der Speiseröhre). Nachstehend soll die Problematik der Ösophagusvarizen anhand von 7 Fragen grundsätzlich erläutert werden.

Was sind Ösophagusvarizen und wie entstehen sie?

Unter normalen Verhältnissen fließt das Blut vom Magen-Darm-Trakt über die Pfortader zur Leber und von dort in die untere Hohlvene. Bei der Leberzirrhose hingegen kommt es infolge eines erhöhten Strömungswiderstandes zu einer Blutdruckerhöhung im vorgeschalteten Pfortaderkreislauf (portale Hypertension). Dies führt zur Eröffnung von Umgehungskreisläufen, über welche des Pfortaderblut an der Leber vorbei in die obere bzw. untere Hohlvene gelangt (Abb. 1). Ein besonders wichtiger Umgehungskreislauf führt zu den Gefäßgeflechten der Speiseröhre, die sich zu Krampfadern erweitern und sich in die Lichtung der Speiseröhre vorwölben. Bei einer Spiegelung des oberen Magen-Darm-Traktes (Endoskopie) sind Ösophagusvarizen somit leicht zu diagnostizieren.

Warum sind Ösophagusvarizen gefährlich?

Bei Steigerung des Pfortaderdruckes über 12 mm Hg besteht das Risiko einer Varizenblutung (Blutaustritt in die Lichtung der Speiseröhre). Das Blutungsrisiko steigt mit der Größe der Varizen. Allerdings erleidet nur ein Drittel der Kranken mit deutlich erhöhtem Pfortaderdruck und großen Varizen eine Blutung. Das Auftreten einer Ösophagusvarizenblutung ist ein medizinischer Notfall und sollte äußerst ernst genommen werden! Die Sterblichkeit einer erstmaligen Varizenblutung beträgt etwa 30 Prozent! Haben Ösophagusvarizen erst einmal geblutet, drohen in der Folge erneute Blutungen (RezidivWiederaufflammen der Erkrankung, hier also Neuentstehung eines Tumors.blutungen). Weiterhin begünstigt die Blutung oft zusätzliche Komplikationen (Aszites, hepatische Enzephalopathie). Eine frühzeitige und konsequente Behandlung der Varizenblutung ist daher obligatorisch.

Kann man einer erstmaligen Varizenblutung vorbeugen (Primärprophylaxe)?

Diese Frage stellt sich, wenn endoskopisch Ösophagusvarizen nachweisbar sind, bisher jedoch noch keine Blutung aufgetreten ist. Beim Nachweis großer Varizen kommt eine medikamentöse Therapie mit einem sogenannten Betablocker (Propranolol = Dociton ®) in Frage; dieser vermindert das Blutungsrisiko durch Senkung des Pfortaderdrucks. Eine endoskopische Behandlung wird derzeit nicht empfohlen, da das individuelle Blutungsrisiko nicht sicher abschätzbar ist (zwei Drittel aller Patienten mit nachgewiesenen Ösophagusvarizen erleiden zeitlebens keine Varizenblutungen!).

Welches sind die Zeichen einer Ösophagusvarizenblutung?

Nachdem eine Ösophagusvarizenblutung eine grundsätzlich lebensbedrohliche Komplikation darstellt, sollten Blutungszeichen sehr ernst genommen werden. Ösophagusvarizen bluten in die Lichtung der Speiseröhre, das ausgetretene Blut wird zunächst in den Magen weitertransportiert. Nach Auffüllung des Magens tritt Übelkeit ein, dunkles Blut (meist durchmischt mit Blutgerinnseln) wird im Schwall erbrochen. Alternativ kann Blut aus dem Magen in den Dünndarm und weiter in den Dickdarm übertreten.

Durch bakterielle Einwirkung nimmt der ursprünglich rote Blutfarbstoff eine tiefschwarze Farbe an; man spricht auch von "Teerstuhl". Infolge der Blutung nimmt die Menge der roten Blutkörperchen im Venenblut ab, es kommt zur Blutarmut (Blutungsanämie). Bei einer heftigen Blutung wird zusätzlich ein Abfall des arteriellen Blutdrucks beobachtet. Blutungsanämie und Blutdruckabfall bewirken Schwächegefühl und Schwindel bei aufrechter Körperposition. Diese Alarmzeichen deuten daraufhin, daß viel Blut aus dem Gefäßsystem verloren wurde. Die Konsequenz aus dem geschilderten Szenario kann nur lauten, daß der behandelnde Arzt zügig kontaktiert werden sollte. Bei Zeichen einer gravierenden Blutung ist die Anforderung eines Notarzteinsatzes durchaus gerechtfertigt.

Wie wird eine Varizenblutung behandelt?

Bei einer gravierenden Blutung sollte der Patient in die Intensivstation eines Krankenhauses aufgenommen werden. Zunächst steht dort die Stabilisierung der Kreislaufverhältnisse im Vordergrund der Bemühungen, was die Transfusion von Blutkonserven einschließt. Im zweiten Schritt wird eine Endoskopie des oberen Magen-Darm-Traktes vorgenommen; diese sollte die Inspektion des Magens und Zwölffingerdarms einschließen, da neben den Ösophagusvarizen auch andere Blutungsquellen in Frage kommen (z.B. Magengeschwüre).

Können Ösophagusvarizen als Blutungsquelle eindeutig identifiziert oder wenigstens wahrscheinlich gemacht werden, erfolgt die endoskopische Intervention. Die früher übliche Verödung (Sklerosierung) von Ösophagusvarizen ist heute gegenüber der wirksameren und risikoärmeren Bandligatur in den Hintergrund getreten (Abb. 2). Hierbei wird die Varize in einen auf das Endoskop aufgesteckten Konus angesaugt und durch Abwurf eines Gummibandes unterbunden. Diese Prozedur wird eingesetzt zur primären Blutstillung einerseits und zur Verhinderung erneuter Blutungen andererseits. Nur in verzweifelten Fällen (Unmöglichkeit der Endoskopie infolge heftiger Blutung) kommen heute noch Kompressionssonden (z.B. Linton-Nachlas-Sonde) zum Einsatz.

Kann man weitere Blutungsepisoden verhindern (Sekundärprophylaxe)?

Nach stattgehabter Erstblutung ist von einem hohen Risiko erneuter Blutungen auszugehen. In dieser Situation sollten Ösophagusvarizen konsequent endoskopisch behandelt werden, bevorzugt mittels Bandligatur. Nach Entlassung aus stationärer Behandlung sollten im zweiwöchigen Rhythmus so lange Bandligaturen im Rahmen ambulanter Endoskopien angebracht werden, bis die oberflächennahen Ösophagusvarizen vollständig verschwunden sind. Ergänzend kommt eine medikamentöse Therapie mit einem Betablocker (Propranolol) in Frage. Auch Maßnahmen, welche das Fortschreiten der Grundkrankheit verhindern oder verlangsamen, tragen zur Prophylaxe von Rezidivblutungen bei.

Was ist zu tun, wenn es trotz adäquater Behandlung immer wieder aus Ösophagusvarizen blutet (rezidivierende Blutung)?

Selten kommt es trotz ausreichender medizinischer Maßnahmen immer wieder zu Varizenblutungen. In dieser Situation muß die Anlage eines TIPS ("transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt") diskutiert werden.

Für die Behandlung von Ösophagusvarizen steht somit eine Palette von Optionen zur Verfügung, die bei den meisten Patienten das Blutungsrisiko deutlich absenken. Eine gute Voraussetzung für den Behandlungserfolg ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Patient, Hausarzt, Gastroenterologen (Spezialist für Magen-, Darm- und Leberkrankheiten) und nicht zuletzt Selbsthilfegruppen.

Prof. Dr. med. Wolfgang Scheppach
Medizinische Universitätsklinik Würzburg


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Ösophagusvarizen - 9. Auflage 01/16